Großstädte leben von ihrer Attraktivität
Wien wächst in Richtung 2 Millionen Einwohner
Großstädte leben von ihrer Attraktivität. Denn in der Vergangenheit wäre keine Metropole ohne Zuwanderung groß geworden. Und ohne Zuwanderung der Gegenwart bliebe keine von ihnen groß. Wien ist dafür ein gutes Beispiel.
Beitrag von Herbst 2013
Um 1700 hatte Wien – einschließlich der später eingemeindeten Vorstädte – rund 120.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Um 1800 waren es bereits rund 200.000 Personen. 100 Jahre später, also zu Beginn des Ersten Weltkriegs, lebten hingegen über 2,2 Millionen Menschen in der Donaumetropole. Aus allen Teilen der Habsburger-Monarchie waren im späten 18. Jahrhundert, im 19. und im frühen 20. Jahrhundert Zuwanderer in die Hauptstadt gekommen: aus den Alpenländern, aber auch aus Böhmen, Mähren und Galizien, seltener auch aus Kroatien, Slowenien und Ungarn. In den Familiennamen der Wienerinnen und Wiener spiegelt sich bis heute die Herkunft ihrer Vorfahren.
Zwischen 1814 und 1914 verzehnfachte sich die Einwohnerzahl Wiens. Städtebaulich fand das starke Bevölkerungswachstum in den Wohnbauten und Quartieren der Gründerzeit seinen Ausdruck: von der Ringstraße bis in die zwischen 1850 und 1906 eingemeindeten ehemaligen Vorstädte und Vororte.
Mit dem Untergang des Habsburger-Reichs endete auch diese Anziehungskraft. Die Stadt verlor an Attraktivität und damit auch an Bevölkerung. Neu errichtete Gemeindebauten traten an die Stelle des privat finanzierten Baus von Häusern und Wohnungen.
Mitte der 1980er Jahre hatte Wien weniger als 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner – um 700.000 weniger als vor dem Ersten Weltkrieg.
Die Trendwende kam mit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der Osten Österreichs rückte vom Rande Westeuropas in die Mitte eines politisch und wirtschaftlich wiedervereinigten Kontinents. Wien profitierte vom Wirtschaftswachstum in seiner östlichen Nachbarschaft. Das zeigt sich auch bei der Einwohnerzahl. Allein in den Jahren 2000 und 2013 wuchs sie um rund 200.000 Personen. Ein so starkes Bevölkerungswachstum hatte es zuletzt zwischen 1890 und 1910 gegeben.
Ähnlich wie im 19. Jahrhundert ist Wien heute wieder Ziel für Zuwanderinnen und Zuwanderer aus dem In- und Ausland. Dies zeigt sich ganz deutlich in der Zusammensetzung der Bevölkerung. In ihr spiegeln sich sowohl die seinerzeitige Anwerbung von Arbeitskräften in den 1960er und frühen 1970er Jahren als auch die neuen Wanderungen nach 1990 wider.
Von den in Wien lebenden Menschen ist fast ein Drittel (31 %) nicht in Österreich zur Welt gekommen. Mehr als ein Fünftel (22 %) besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Unter ihnen sind fast 40 % Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Staaten, fast ein Viertel Bürger Serbiens, Bosniens und des Kosovo sowie etwa 12 % Bürger der Türkei.
Gegenüber den anderen Bundesländern gewinnt Wien erst seit 2009 an Einwohnerzahl. Verstärkt wird dies durch Wanderungsgewinne gegenüber dem Ausland, die es auch schon vor 2009 gab. Jedes Jahr beträgt der Überschuss der Zuwanderer gegenüber den Abwanderern zwischen 7.000 und 20.000 Personen. 2012 betrug das Plus sogar über 22.000 Personen. Wichtigste Herkunftsländer der neuen Zuwanderung sind Deutschland, die EU-Mitgliedsstaaten Polen und Rumänien sowie Serbien.
Derzeit leben rund 1,75 Millionen Menschen in Wien. Damit hat Wien sowohl Hamburg als auch Budapest überholt.

CONCLUSIO
Hält das gegenwärtige Wachstumstempo an, dann hat die Donaumetropole ab 2033 wieder 2 Millionen Einwohner. Das bedeutet eine erheblich größere Nachfrage nach Wohnraum, öffentlichen wie privaten Dienstleistungen. Die Antwort darauf ist klar: Wir brauchen in Wien mehr Wohnbau und mehr Investitionen in kommunaler Infrastruktur.

Zur Person
Univ. Prof. Dr. Rainer Münz leitet die Forschungsabteilung der Erste Group. Darüber hinaus ist er Senior Fellow des Brüsseler Think Tanks „Bruegel“ sowie des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts und unterrichtet an der Universität St. Gallen.
