Nord-Nordwest Bahnhof: Zwischenlösung – Containerterminal – Stadtteil
Gastbeitrag von Mag. Walter Senk
Gebaut wurde er eigentlich im 2. Bezirk, liegt aber zur Gänze im 20. Getrennt hat er beide. Und bald wird gar nichts mehr da sein vom Nordwestbahnhof – dafür werden aber die Wellen umso höher schlagen, wenn ein neuer Stadtteil entsteht.
Beitrag von Herbst 2016
Obwohl er der zweitgrößte Bahnhof Wiens war, galt er als das „Stiefkind“ unter den sechs Kopfbahnhöfen der Stadt. Vielleicht weil er der Letzte in der Reihe der großen Kopfbahnhöfe war, vielleicht lag es aber auch an seiner Entstehung. Seine Errichtung ist, wirtschaftlich gesehen, nur durch die hektische Bauspekulation im Vorfeld der Wiener Weltausstellung 1873 und durch die damals gegebene Konkurrenz mehrerer Eisenbahnunternehmen im Raum Wien zu erklären. Gebaut wurde der Bahnhof in den Jahren 1870 bis 1873 in einem Teil des Augartens im damaligen 2. Wiener Gemeindebezirk. Wegen des Zeitdrucks wurde er aber bereits am 1. Juli 1872 in noch unfertigem Zustand eröffnet. Als die Konkurrenzsituation zwischen den Eisenbahngesell-schaften durch die Verstaatlichung der Bahn im Jahr 1909 nicht mehr gegeben war und die Nordwestbahn durch die Auflösung Österreich-Ungarns an Bedeutung verlor, wurde der Betrieb eines großen Bahnhofes bereits nach etwa dreieinhalb Jahrzehnten an diesem Standort obsolet. In der Zwischenzeit hatte der Nordwestbahnhof auch den Bezirk „gewechselt“, denn seit 1900 ist das Areal Teil des 20. Wiener Gemeindebezirks.

DIE ZEIT DANACH
In den Kriegs- und Zwischenkriegsjahren musste der Nordwestbahnhof immer wieder als „Zwischenlösung“ herhalten, bis das Gelände schließlich in den 1970er-Jahren zu einem damals modernen Güter- und Containerterminal mit Krananlagen und Lagerhäusern ausgebaut wurde. Bis Anfang 2017 wird er noch als Frachtenbahnhof genutzt. Dann wird der Terminal in das neue Güterzentrum Wien Süd (Wien Inzersdorf) übersiedelt. Damit ist der Nordwestbahnhof endgültig Geschichte und kann einem neuen Stadtteil Platz machen. Und der hat es in sich.
DER NEUE STADTTEIL
Das Areal des Nordwestbahnhofes ist nämlich – neben dem Nordbahnhofgelände und dem Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof – eines der großen innerstädtischen Stadterweiterungsgebiete in Wien. Bis ca. 2027 entwickelt die ÖBB-Immobilienmanagement GmbH gemeinsam mit der Stadt Wien auf diesem Areal einen neuen Stadtteil, der weitreichende Auswirkungen auf seine gesamte Umgebung haben wird. Realisiert werden Wohnungen für rund 12.000 Menschen, Büros für rund 5.000 Arbeitsplätze, Infrastruktur, Schulen und Kultur- und Freizeiteinrichtungen rund um einen ca. 10 Hektar großen Park, der das Herzstück des neuen Stadtviertels bilden wird.
ANPASSUNG DES LEITBILDES
Da das „städtebauliche Leitbild“ für den Wiener Nordwestbahnhof aus dem Jahr 2008 stammt, wurde von der Stadt Wien beschlossen, gemeinsam mit den ÖBB als Grundeigentümer bis Ende 2016 das vorhandene Leitbild an die derzeitigen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen anzupassen. Es wurde dahingehend adaptiert, dass aufgrund der aktuellen und zukünftigen Nachfrage mehr Wohnflächen und weniger Büros geplant sind. Durch diese nicht vorhersehbaren, aber notwendigen Arbeiten im Vorfeld wird sich auch der eigentliche Baubeginn etwas verzögern und es ist, nachdem der Frachtenbahnhof abgesiedelt wurde, etwa 2019/20 mit den ersten Bauarbeiten zu rechnen. Damit wird sich nicht nur das Areal, sondern die gesamte Umgebung entscheidend verändern.
DER KEIL WIRD GEZOGEN
Der Nordwestbahnhof steckt derzeit noch wie ein Keil in der Stadt und trennt wie kein anderer Bahnhof gewachsene Stadtgebiete voneinander ab. Somit wird ein massiver Störfaktor im städtebaulichen Gesamtbild wegfallen, und die Neunutzung des Bahnhofgeländes bietet die historisch einmalige Chance, die beiden bislang durch Bahnanlagen getrennten Bezirkshälften der Brigittenau zu verbinden. Dahingehend ist auch das Konzept des neuen Stadtteils zu verstehen: als Schnittstelle mit zusätzlichen Qualitäten in den Bereichen Identifikation, Kommunikation, Vernetzung und Flexibilität und mit einer grünen Mitte als zentraler Freiraum und zur Durchwegung.

EINMALIGE CHANCE - AUCH FÜR INVESTOREN
Wie sich umliegende Stadtgebiete durch Großprojekte verändern können und massiv aufgewertet werden, konnte man bereits beim 5. und 10. Bezirk im Zuge des Baus des Hauptbahnhofs beobachten oder etwa beim 2. Bezirk durch das Viertel Zwei und den Nordbahnhof. Während der 2. Bezirk schon seine Entwicklung nimmt, befindet sich der 20. Bezirk noch in der Warteschleife. Es ist prinzipiell zu erwarten, dass der Bezirk im Ganzen durch die Entwicklung des Nordwestbahnhofs eine enorme Aufwertung erfahren wird. Man darf nämlich nicht vergessen, dass Brigittenau relativ innerstädtisch liegt, zudem noch einen großen Altbestand an Zinshäusern aufweist und eine Gegend ist, die durch leistbares Wohnen klassifiziert ist. Wie groß die Auswirkungen dieser Veränderung auf die bestehende Zinshauslandschaft sein werden, lässt sich derzeit noch gar nicht genau abschätzen. Es ist aber zu erwarten, dass die Preise für Wohnraum in den kommenden Jahren auffällig anziehen werden.

Blick auf die Grüne Mitte – Parkesplanade © enf ernst niklaus fausch architekten, Ueli Hiltpold
WEITREICHENDE EINFLÜSSE
Die Einflüsse des neuen Stadtteils werden sich aber nicht nur auf die direkt angrenzende Umgebung zeigen. Das „Hinterland“ zwischen dem rechten Donauufer und den Gleisanlagen steht vor einem dynamischen Transformationsprozess. Die Entwicklungspotenziale reichen vom Brigittenauer Frachtenbahnhof über die Zulaufstrecke Nordwestbahnhof, Nordbahnhof, Praterstern, Prater, Messe, Krieau in die benachbarte Leopoldstadt und entlang des Handelskais, von der Floridsdorfer Brücke bis zur Reichsbrücke.
AKZEPTANZ DER BEWOHNER
Der Erfolg des Projektes hängt in jedem Fall von der Akzeptanz der Bewohner ab, und daher wurde auch die Bevölkerung im Rahmen eines kooperativen Planungsverfahrens eingebunden. Neben den Experten, Architekten, Wirtschaftstreibenden und Stadtplanern bringen nämlich die Bürger und Bürgerinnen zusätzlich neue Ideen ein, da sie die zukünftigen Nutzer der urbanen Struktur sind, und haben vor allem das sogenannte Grätzelwissen, da sie schon lange in der betroffenen Umgebung wohnen. Je mehr sie eingebunden sind, desto höher ist auch die Akzeptanz des Neuen und damit die beste Voraussetzung für die Integration in seinem Umfeld.
Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird, so wird der neue Stadtteil am Wiener Nordwestbahnhof ein großer Gewinn für alle sein: für die Stadt und ihre Bewohner.
Zahlen und Daten
Der Nordwestbahnhof liegt zwischen den Bezirksteilen der Altbrigittenau und Zwischenbrücken und erstreckt sich von der Stromstraße im Norden bis zur Taborstraße im angrenzenden 2. Bezirk.
- Entwicklungsfläche für Städtebau: 440.000 m² (= 44 ha)
- Geplante Bruttogeschoßfläche (BGF): rd. 750.000 m²
- Wohnungen für 12.000 Menschen
- Rund 5.000 Arbeitsplätze
- 10 ha großer Park

Zur Person
Walter Senk ist unabhängiger Journalist mit dem Schwerpunkt „Immobilien“ und schreibt für zahlreiche Medien. Außerdem konzipiert er Magazine und entwickelt und betreut Kundenzeitschriften für diverse Unternehmen. Mit seiner Webseite www.immobilien-redaktion.at bringt er die breite und umfassende Welt der Immobilien auf interessante Weise näher.
