Sind Richtwerte noch zeitgemäß?
Gastautor Markus Reithofer informiert über die aktuelle Lage von Richtwerten.
Beitrag von Herbst 2017
Mietzinsbildung im Altbau, der Richtwert ein dynamisches System
Der Richtwert wurde 1994 eingeführt. Anpassungen durch Judikatur und die Einbeziehung des Marktes halten das Richtwertsystem seither am Leben.
Mit dem Inkrafttreten des Mietrechtsgesetzes (MRG) am 1.1.1982 wurde das viel novellierte Mietengesetz (MG) von 1922 abgelöst und eine allgemeine Rechtsvereinheitlichung und Anpassung an die geänderten Bedürfnisse seiner Zeit erfüllt. Mit der Einführung von Mietzinsobergrenzen anhand kategorisierter Wohnungen (A, B, C, D), von Erhaltungsbeiträgen (für Wohnungen, für die noch die günstigen Friedenszinsbestimmungen des MG galten) und der Einführung eines weitreichenden Ablöseverbots (§ 27 MRG) wurde ein neuer - jedoch starrer Weg - bei den Vorschriften zur Mietzinsbildung eingeschlagen. Neben den zum Kategoriemietzins vermietbaren Wohnungen enthielt das MRG in der Urfassung lediglich ein kleines Segment, innerhalb dessen der Mietzins nur durch das Kriterium der Angemessenheit nach oben hin begrenzt war (unter anderem Wohnungen der Kategorie A mit über 90m2 Nutzfläche). Eine wesentliche Erweiterung der Anwendung des angemessenen Mietzinses räumte die erste MRG-Novelle nach drei Jahren 1985 (BGBL 1985/559) ein, die alle Wohnungen der Kategorie A, sofern die Neuvermietung innerhalb von 6 Monaten nach der Räumung durch den früheren Mieter oder Inhaber an einen nicht zum Eintritt in die Mietrechte des früheren Mieters Berechtigten erfolgte, zur Vermietung zum angemessenen Hauptmietzins ermöglichte. Der Begriff der „Angemessenheit“ und deren Auslegung bekam dadurch zunehmend Bedeutung, mit der Folge, dass sich der angemessene Mietzins immer mehr zum marktkonformen, also praktisch zum frei zu vereinbarenden Mietzins wandelte. Nach der Rechtsprechung des OGH konnte jeder Mietgegenstand, auch ein nicht dem § 16 MRG und der Angemessenheitsgrenze unterliegender, als Vergleichsobjekt herangezogen werden (OGH 30.4.1991, 5 =b 110/90, OGH 25.6.1992, 5 Ob 71/91).1 2
Um diesen Auswüchsen der Mietenentwicklung, vor allem in der Bundeshauptstadt Wien, entgegenzuwirken und den Angemessenheitsbegriff im Neuvermietungsfall neu zu definieren und zu begrenzen, wurde mit dem 3. Wohnrechtsänderungsgesetz 1994 (BGBL 800/1993, 3.WÄG) das Richtwertgesetz (RichtWG) eingeführt. Der neugeschaffene Richtwert sollte als Basis für eine richterliche Angemessenheitsprüfung dienen.3
Der Richtwert (§ 1 RichtWG) ist die Ausgangslage bei der Berechnung des Richtwertmietzinses für eine bestimmte Wohnung. Darunter ist jener Betrag zu verstehen, der vom Gesetzgeber, unterschiedlich für jedes Bundesland, für die mietrechtliche Normwohnung festgesetzt wird. Die Ausgangsbasis wurde gemäß § 3 RichtWG nach dem Herstellungswert einer gut ausgestatteten geförderten Neubauwohnung und die Grundkosten nach den Föderungszusicherungen bemessen. Zur Ableitung des jährlichen Richtwertes wurde eine 4%ige Verzinsung unterstellt wobei beim Herstellungswert diese um eine Erhaltungskomponente auf 5,5 % gehoben wurde.
Die mietrechtliche Normwohnung (§ 2 RichtWG) entspricht weitgehend einer Wohnung der Kategorie A (die Nichtauflistung des Ausstattungsmerkmales Warmwasseraufbereitung ist nach einhelliger Lehre als Redaktionsversehen zu verstehen4) in einem Gebäude mit ordnungsgemäßen Erhaltungszustand in durchschnittlicher Lage gelegen.
Der Erhaltungszustand eines Gebäudes ist dann ordnungsgemäß, wenn der Zustand der allgemeinen Teile (z.B. Fassade, Außenfenster, Dach, Stiegenhaus, Ver- und Entsorgungsleitungen) nicht bloß vorübergehend einen ordentlichen Gebrauch der Wohnung gewährleisten, wobei anfallende Erhaltungsarbeiten im Vermietungszeitpunkt iSd § 3 Abs 3 Z 2 MRG (sogenannten „privilegierten Arbeiten“) den ordentlichen Gebrauch ausschließen.
Die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen. Dabei definiert schon das Gesetz, dass eine Wohnlage mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Kategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich gilt. Die nicht sehr aussagekräftige beschriebene Durchschnittslage wird auch als „Gründerzeitviertel“ bezeichnet und schränkt die heutige Qualität der Wohnlage von vornherein ein, da nur der Errichtungszeitpunkt berücksichtigt wird und Änderungen in Form von Wohnungssanierungen samt Kategorieverbesserungen nach 1917 außer Betracht bleiben. Gebäudeabbrüche und Neuschaffungen von Wohnraum werden jedoch bei der Stichtagsbetrachtung – Vermietungszeitpunkt der Wohnung – sehr wohl mitberücksichtigt.
Sofern das Gebäude nicht in einem Gründerzeitviertel gelegen ist, müssen dem Mieter die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände bis spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrages ausdrücklich in Schriftform bekannt gegeben werden. Die Rechtsprechung hat in § 16 Abs 4 MRG eine zwingende Schutzbestimmung zugunsten des Mieters erkannt. Zweck dieser Schutzvorschrift ist es, dem Mieter die Überprüfung der Berechtigung eines solchen Zuschlages zu ermöglichen5.
Das Mietrechtsgesetz enthält im § 16 Abs 3 MRG eine genaue Anweisung über die Ermittlung des Lagezuschlages, weshalb er nicht unter Anwendung des § 273 ZPO nach Ermessen des Gerichtes festgesetzt werden darf. Zur Ermittlung der Lagezuschläge und Lageabschläge ist nach gesetzlicher Anordnung zunächst jener der Lage des Hauses entsprechenden Grundkostenanteil je m² Nutzfläche zu berechnen. Dazu bedarf es der Feststellung der in dieser Gegend üblichen Grundpreise für unbebaute, aber für Wohnbauten geeignete Grundstücke (in diesem Sinn ist § 16 Abs 3 MRG berichtigend auszulegen) durch einen Realitätensachverständigen und – allenfalls mit Hilfe eines Bausachverständigen - der Umlegung dieser Preise auf die, unter Berücksichtigung der Bauvorschriften, erzielbaren Wohnnutzflächen. Von der Differenz zwischen dem auf diese Weise errechneten und dem der Richtwertfestsetzung zugrunde gelegten Grundkostenanteil (§ 3 Abs 2 und Abs 5 RichtWG), der aus dem gemäß § 4 Abs 1 RichtWG mit dem Richtwert kundgemachten Prozentanteil rückgerechnet werden kann, bilden 0,33 % den Lagezuschlag beziehungsweise Lageabstrich6. Diese Berechnung ist relativ komplex und für Wien wurde indikativ von der MA 25 eine sogenannte Lagezuschlagskarte veröffentlicht. In der aktuellen Karte wurde der Grundkostenanteil gegenüber den Vorjahren und einzelne Zählgebiete in die nächst höhere Zuschlagsklasse gehoben wodurch sich teilweise entsprechende Zuschlagssprünge ergeben haben.
Bei dieser einfachen Berechnungsmethode ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den sieben Lagen um jeweils durchschnittliche Grundkostenanteile handelt, die im konkreten Fall von einer Berechnung nach § 16 Abs 3 RichtWG abweichen können. Bei dieser ergibt sich aus dem eingangs Beschriebenen, folgende Formel:
Lagezuschlag = (GKALage – GKARichtwert) x 0,33 %
wobei:
GKALage: Grundkostenanteil der zu vermietenden Wohnung
GKARichtwert: Grundkostenanteil des Richtwerts
Die Unbekannte in dieser Formel ist der Grundkostenanteil der zu vermietenden Wohnung. Um diesen zu ermitteln sind entsprechende Vergleichsdaten zu erheben.
Der Begriff Richtwertmietzins hat sich in der Praxis eingebürgert und stellt den zulässigen Hauptmietzins der zu berechnenden Wohnung dar, der entsprechend werterhöhender bzw. wertmindernder Abweichungen von der den Standard begründenden Normwohnung gem. § 16 Abs 2 MRG durch Zuschläge bzw. Abschläge vom Richtwert zu ermitteln ist. Die Höhe des jeweiligen Zuschlags bzw. Abstrichs richtet sich „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“. Die Berechnungsformel des Richtwertmietzinses lautet wie folgt:
Richtwert + (Zuschläge – Abschläge) = Richtwertmietzins
Seit Verlautbarung des Richtwertes durch das 3. WÄG, hat die Rechtsprechung die Berechnung und Auslegung des Richtwertes „präzisiert“, im Jahr 2006 wurde das Richtwertsystem durch den Gesetzgeber in seiner Berechnungsbasis „eingefroren“. Durch den Art 10 Deregulierungsgesetz (DRG 2006) wurden die §§ 6-9 RichtWG ersatzlos aufgehoben, wodurch der Beirat zur Ermittlung der Richtwerte aufgelöst wurde und daher weder eine Neufestsetzung des Richtwertes möglich ist, noch allgemeine Beiratsempfehlungen erlassen werden kann. Die Wiener Magistratsabteilung 25 - Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser - ist als „Hüterin des Richtwertes“ verblieben, deren Richtlinienhaben in der gutachterlichen wie in der gerichtlichen Praxis überwiegend allgemeine Gültigkeit. Anpassungen aufgrund der Judikatur und des Marktverhaltens finden Eingang, wodurch das „bewegliche Richtwertsystem“ in seiner beschnittenen Form am Leben gehalten“ wird. Das MILG7 im Jahr 2007 stellte bei der jährlichen Indexanpassung auf die Basis des Durchschnittswertes des Vorjahres ab und die Wohnrechtsnovelle 20098 hat diese Systematik auf eine zweijährige Indexanpassungsperiodik geändert.
Inwiefern hinkünftige Notwendigkeiten im Bereich der thermisch / energetischen Sanierung sowie der Barrierefreiheit in den Richtwert Eingang finden, wird abzuwarten sein. Der Richtwert ist ein einzigartiges Mietzinsbildungssystem, dass auch durch den laufenden Wandel neue Fragestellungen aufwirft.
Fußnoten
1 ÖVI Dirnbacher/Heindl/Rustler. Der Richtwertmietzins (1994), S. 40 ff
2 Anmerkung des Autors: Diese sinnvolle und bis heute gültige Judikaturlinie des OGH stand und steht in der Kritik der Arbeiterkammer Österreich kurz AK und der Mietervereinigung Österreich kurz MVO.
3 Vgl. Arbeitsübereinkommen der Regierungsparteien vom 17.12.1990, XVIII. GP
4 Kothbauer, Rücklinger. Mietrechtsgesetz, Wohnungseigentumsgesetz S. 30
5 OGH 25.01.2000, 5 Ob 5/00x
6 OGH 16.01.2001, 5 Ob 241/00b
7 Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz
8 § 5 RichtWG

Zur Person
Mag. Markus Reithofer, MSc MRICS ist Jurist, Immobilientreuhänder und geschäftsführender Gesellschafter der Reithofer Immobilienbewertung G.m.b.H. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er den postgradualen Universitätslehrgang für Immobilienmanagement und Bewertung an der Technischen Universität Wien. Daneben ist er allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Liegenschaftswesen sowie als Lehrbeauftragter an der TU Wien und an weiteren österreichischen Bildungseinrichtungen tätig. Mag. Reithofer ist auch Mitautor des Handbuchs „Immobilienbewertung Österreich“.
