Das historische Wien - 1. Bezirk
Der erste Bezirk – ein prachtvolles Geschenk an die Wiener
Die Innere Stadt ist der alte Stadtkern Wiens. Bis zu den ersten Eingemeindungen 1850 bildete er praktisch die gesamte Stadt. Erst der Abbruch der Basteien ab 1857 machte Wien zur Weltstadt. Heute arbeiten in der City mehr als 100.000 Beschäftigte - dafür sorgen Behörden und große Firmen. Gleichzeitig gibt es hier die wenigsten Einwohner.
Beitrag von Herbst 2013
Am 25. Dezember 1857 erhielten die Wiener von ihrem 27-jährigen Kaiser Franz Joseph ein völlig unverhofftes Weihnachtsgeschenk. Was die amtliche “Wiener Zeitung” vermeldete, war fast zu schön, um wahr zu sein: “Es ist mein Wille”, dekretierte der absolut herrschende Monarch, die jahrhunderte alten Stadtmauern rund um die Innenstadt, die Befestigungen und Basteien niederzureißen. Die moderne Militärtechnik hatten sie längst sinnlos werden lassen. Sie schnürten die Stadt – heute ist das der 1. Bezirk – vom Umland ein, das Leben in ihr war zur Plage geworden.
Jetzt ging ein Aufatmen durch Wien. Ein wilder Bauboom war die Folge. Denn Vater Staat war schlau: Er parzellierte die öden Gründe vor der Stadt und verkaufte sie teuer als Bauplätze. Wer Rang und Namen in der Kaiserstadt besaß, der musste hier bauen. Und so entstand in rasender Geschwindigkeit ein wahres Weltwunder. Wir nennen es heute die Ringstraße. Und die Epoche, in der das Baufieber alle Vermögenden ergriffen hatte, ging als “Gründerzeit” in die Geschichte ein.
Wie ein wertvolles Collier umschließt der märchenhafte Boulevard mit seinen repräsentativen Bauten die Innere Stadt. Hier war endlich ein Spielfeld für den Wiener Geldadel, der nun zeigen konnte, was ihm in der Enge des dichtverbauten Bezirks verwehrt war: Luxus pur, was die Architektur betraf. Konnte bisher nur der alte Erbadel an den prächtigsten Plätzen der Innenstadt prunken, so übertraf nun das reich gewordene Bürgertum alles bisher Dagewesene. Es sind die Wohnpaläste entlang des Rings, Zinshäuser für die Oberschicht mit allen Bequemlichkeiten der damaligen Zeit.
Die bürgerlichen Bauherrn, zu einem guten Teil jüdische Exportkaufleute und Bankiers, engagierten die besten Architekten ihrer Zeit, denn Geld durfte bei dieser Sache des Prestiges keine Rolle spielen. Wir denken an die ganze Schar weltberühmter Baukünstler, die sich in der „Reichshaupt- und Residenzstadt“ verwirklichen konnten: Hansen, Schmidt, van der Nüll, Siccardsburg, Semper, Hasenauer... Und es gab schon damals die Spezies der Serien-Architekten. Die berühmtesten waren Hermann Helmer und Ferdinand Fellner, die ihre „Muster-Schnittbogen“ für Theaterbauten in sämtlichen Kronländern anboten. Helmer & Fellner war geradezu eine “Trademark”. Eine ihrer weniger bekannten Schöpfungen ist das Zinshaus in der Annagasse 3 mit einem Pawaltschengang im vier Stock hohen Innenhof, der an italienische Renaissancepalais gemahnt – bei einem Spaziergang durch die malerische Annagasse sollte man unbedingt einen Blick hinein werfen.
Freilich: mit dem Abstand von 150 Jahren lässt sich von uns heute leicht urteilen. So behaupten wir, dass dieses kaiserliche Weihnachtsgeschenk an die Wiener von 1857 ohne Zweifel ein großer Wurf war. Wohl hatten auch andere Handlungen des nicht gerade entscheidungsfreudigen Kaisers nachhaltige Folgen. Zum Unterschied von seinen militärischen Unternehmungen aber war die “Großbaustelle Wien” eine durchwegs positive Tat. Mit fast allen sonstigen Aktionen blieb Franz Joseph unglücklich. Ab 1914 war das Reich verspielt. 1918 ist es ruhmlos gestorben. Der Glanz einer Märchenstadt, der ist aber geblieben. Von dem profitieren wir Heutigen noch immer.


und aus dem Stadtbild nicht wegzudenken
Geheimtipp
Viel zu wenig besucht - obwohl es allen Österreichern gehört - ist das Ringstraßen-Palais Epstein gleich neben dem Parlamentsgebäude an der “Bellaria”. 1870 von Theophil Hansen im Stil italienischer Renaissance erbaut, steht es seit 1902 in Staatsbesitz. Seit der äußerst luxuriösen Restaurierung vor zehn Jahren dient es nun als Dependance für Parlamentsbüros. Ein Tunnel durch den Schmerlingpark verbindet es mit dem Parlament. Eine Führung (gegen Voranmeldung) sollte man sich nicht entgehen lassen.
1., Innere Stadt
Fläche in ha1: 286,97
Einwohner 20102: 16.268
Bevölkerungsdichte3: 5.671
Bevölkerungsentwicklung4: -3,15%
Gebäude5: 1.732
Zinshäuser6: 607
Zinshausdichte7: 35%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
