Das historische Wien - 11. Bezirk
Simmering: Viele Lebende, noch mehr Tote.
Auch der nächste Bezirk, dem wir uns nun zuwenden, ist vom klassischen Arbeitermilieu geprägt: Simmering, ist seit 1892 der 11. Wiener Gemeindebezirk – damals wurde die Hauptgemeinde mit Kaiserebersdorf vereinigt.
Beitrag von Herbst 2013
Die Lebenden und die Toten. Hier in Simmering befindet sich auf einem Sechstel der Fläche der Zentralfriedhof, Österreichs mit Abstand größter Friedhof (siehe Geheimtipp). Gleich daneben aber pulsiert das Leben. Die Hälfte der verbauten Flächen im Bezirk nehmen Betriebsanlagen in Anspruch, ein sehr hoher Wert für Wien. Und dazu kommen noch die vielen Gemüselandwirtschaften, die für die Millionenstadt essenziell sind.
Im Jahr 1028 wurde die Ortschaft erstmals urkundlich erwähnt, seit 1605 existierte hier eine Brauerei, sonst gab es so gut wie nichts. Erst 1860 begann der Bauboom für die Massen von zugewanderten Arbeitern aus der gesamten Monarchie. Die „Rinnböck-Häuser“ sind ein frühes Beispiel der Zinshausspekulation, eine Zeitlang waren sie die zweitgrößte Wohnhausanlage Wiens.
Zwischen den Dörfern Kaiserebersdorf und Simmering, auf der Simmeringer Haide, gab es in früheren Zeiten immer etwas zu bestaunen. Es mussten nicht immer öffentliche Hinrichtungen sein, auch Artillerieübungen gab es hier und Pferderennen. 1909 führte der Franzose Louis Blériot vor 300.000 Zuschauern jenes Flugzeug vor, mit dem er zuvor als erster Pilot den Ärmelkanal überquert hatte.

In Simmering finden wir auch die bedeutendsten Industriedenkmäler Wiens: Die vier Gasometer. In kürzester Zeit wurden 47 Millionen Ziegel und 67 Tonnen Material für das Rohrnetz angeschafft. Am 28. Dezember 1896 erfolgte der Spatenstich der Gasometer. In einer Rekordzeit von nur 72 Tagen wurden diese Gasspeicher gebaut. Bereits im Juli 1899 waren alle vier Behälter auch im Inneren einsatzbereit und am 31. Oktober 1899 fand die feierliche Eröffnung statt.
1978 erhielten die vier Gasometer mit ihren Ziegelaußenhüllen Denkmalschutz, bevor sie ab 1984 nach und nach außer Betrieb genommen wurden. Das Zeitalter des Leuchtgases war vorbei, heute kommt nur noch Erdgas zum Einsatz. Nur die Außenhüllen dieser gigantischen Gasspeicher blieben übrig. Es folgte eine Zeit der Stille in den Gasometern. Die großen leeren Hallen wurden nur zeitweise für Ausstellungen und ab 1992 für Partys und Filmdreharbeiten genutzt.
Heute wohnen rund 1.600 Menschen in 800 Wohnungen und dem Studentenheim innerhalb der vier Gasometer und dem modernen Schild-Hochhaus. Seit der Revitalisierung fand eine langsame, aber doch fortschreitende Entwicklung im Umland statt.
Und wieder zurück zu den Toten: Von den 55 großen und kleinen Wiener Friedhöfen ist der berührendste sicherlich der „Friedhof der Namenlosen“. Er liegt beim Alberner Hafen, gehört also noch zu Simmering. Von den 104 Toten, die hier zwischen 1900 und 1940 zur letzten Ruhe gebettet wurden, sind die meisten unbekannt geblieben. Ertrunkene, die hier an Land geschwemmt wurden. Am ersten Sonntag nach Allerheiligen gedenken hier die Donaufischer dieser Opfer der Donau.
Geheimtipp
Der Wiener Zentralfriedhof wurde 1874 eröffnet und zählt mit einer Fläche von fast 2,5 km² und rund drei Millionen Bestatteten zu den größten Friedhofsanlagen Europas. Er ist nicht nur wegen seiner vielen Ehrengräber, der Jugendstil-Bauwerke und des weitläufigen Areals eine besondere Sehenswürdigkeit unserer Stadt. Führungen: Jeden Samstag um 14 Uhr, Treffpunkt vor dem Tor 2. Voranmeldung ist nur für Gruppen erforderlich.
11., Simmering
Fläche in ha1: 2325,63
Einwohner2: 92.274
Bevölkerungsdichte3: 3.968
Bevölkerungsentwicklung4: 0,73%
Gebäude5: 7.303
Zinshäuser6: 120
Zinshausdichte7: 2%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
