Das historische Wien - 15. Bezirk
Keine Frühjahrsparade mehr auf der Schmelz.
Dieser Spaziergang ist fast ein „Lehrpfad“ durch die Entwicklung des Wiener Wohnbaus: Gartenstadt einerseits, interessante Gemeindebau-Experimente anderseits. Und das alles rund um den ehemaligen Exerzierplatz der kaiserlichen Armee.
Beitrag von Herbst 2013
Der 15. Wiener Gemeindebezirk liegt westlich des Stadt-zentrums. Seine bekanntesten Bauten sind der völlig neu gestaltete Westbahnhof mit der denkmalgeschützten alten Halle aus der Nachkriegszeit und die Wiener Stadthalle Roland Rainers, die verblüffender Weise noch heute ihren Dienst so gut versieht wie zur Zeit ihrer Entstehung.
Steil führt die Johnstraße von Schönbrunn hinauf zur Schmelz. Auf der Anhöhe erhebt sich eine Anlage mit 120 geförderten Wohnungen. Sie stehen an der Stelle des einstigen, 1912 gegründeten Meiselmarkts. Die Marktstandler sind in die Arkaden des früheren Wasserbehälters übersiedelt, der im 19. Jahrhundert 36,5 Millionen Liter Hochquellwasser speichern konnte.
In dieser Zeit war die Schmelz eine triste staubige Einöde, ein idealer Schauplatz militärischer Übungen. Zu den Frühjahrsparaden kam alljährlich der Kaiser persönlich – es muss ein farbenprächtiges Spektakel gewesen sein. Für den Krieg waren die Exerzierübungen weniger geeignet, aber der Kaiser liebte derlei Manöver. Franz Joseph ließ sich von Schönbrunn durch die Johnstraße auf die Schmelz fahren. Daher sind hier – eine Seltenheit in dem Bezirk – Alleebäume gepflanzt worden.
In der Pilgerimgasse/Ecke Johnstraße unternahm die sozialdemokratische Stadtverwaltung ein bemerkenswertes Experiment, das nur damals angesichts der Wohnungsnot gewagt werden konnte. Der „Heimhof“ bot 246 Wohnungen für Alleinstehende und kinderlose Ehepaare an, und zwar mit einer zentralisierten Hauswirtschaft. Die Wohnungen waren nur 31 Quadratmeter groß, weil es weder Küche, noch Speise-, noch Badezimmer gab. Dafür eine Zentralküche. In einem Gemeinschaftssaal wurde gegessen. Bäder und Duschen waren ebenfalls für alle Mieter gemeinsam. Es gab eine Zentralwäscherei und sogar Aufräumpersonal. Trotzdem war dem Versuch kein Erfolg beschieden. Das gemahnte dann doch zu sehr an Kommunismus.

In unmittelbarer Nähe dient der einstige Exerzierplatz Schmelz heute friedlichen Zwecken. 1.200 Schüler lernen hier im Gymnasium und gleich daneben trainieren die Sportstudenten der Universität Wien unter hervorragenden Bedingungen. Nur die daneben liegende Radetzky- Kaserne zeugt noch vom früheren Verwendungszweck.
1858 schuf Wien mit dem Westbahnhof einen der großen Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Im 2. Weltkrieg zerbombt, wurde das neue Gebäude zu einem Symbol des Wiederaufbaus und der gemeinsamen Kraftanstrengung aller Österreicher. Heute ist nur die große Schalter - halle aus den Fünfzigerjahren geblieben, die Seitenflügel haben monströsen Neubauten Platz machen müssen, die das alte Gebäude in der Mitte fast erdrücken.
Umso erfreulicher, dass bis heute nicht an einen Abriss oder Umbau der Wiener Stadthalle gedacht werden muss, das Meisterstück des einstigen Stadtplaners Roland Rainer. 1958 wurde sie erbaut, mit einem Fassungsvermögen von 16.000 Personen ist sie eine der größten Veranstaltungshallen Europas. Das benachbarte Bad kam erst später dazu. Lange nach Roland Rainer. Daher tropft es auch bis heute.
Geheimtipp
So befremdend vielleicht die Pfarrkirche „Maria vom Siege“ wirken mag, so hübsch ist ihre Umgebung: Eine Ansammlung historischer Zinshäuser, die mittlerweile zu gesuchten Objekten geworden sind. Der Haidmannspark und der Dingelstedtpark werden neu gestaltet. So dürfte dieses Viertel zu einem Hotspot wohnungssuchender wohlsituierter Jungfamilien werden.
15., Rudolfsheim-Fünfhaus
Fläche in ha1: 392,35
Einwohner2: 73.527
Bevölkerungsdichte3: 18.740
Bevölkerungsentwicklung4: 1,29%
Gebäude5: 3.875
Zinshäuser6: 1.125
Zinshausdichte7: 29%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
