Das historische Wien - 19. Bezirk
Vom Karl-Marx-Hof zu den Weinbergen
Und gleich noch ein sogenannter Nobelbezirk: Döbling. Im Nordwesten Wiens gelegen, schon am Rand des Wienerwaldes, gehört der 19. Bezirk zu den teuersten Wohngegenden der Stadt. Gleichzeitig finden wir hier sowohl eine berühmte Villen-Anlage, „die Cottage“, als auch den größten Gemeindebau der Stadt, den Karl-Marx-Hof.
Bericht vom Herbst 2013
Der Ausbau der Verkehrswege gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat die Entwicklung des Bezirks nur an dessen Randzonen bestimmt. 1870 begann die lang diskutierte Donauregulierung, in Nußdorf wurde ein kleiner Umschlag hafen der Donaudampfschifffahrts-Gesellschaft errichtet und Otto Wagners großartiges Nußdorfer Wehr bannte die Hochwassergefahr für die Stadt. Dieses „Stadttor am Wasser“ ist der Beginn des Donaukanals. Parallel dazu wurde der Franz-Josefs-Bahnhof fertig. So entstand die wichtigste Verkehrsverbindung Wiens nach Nordwesten, rund um Nußdorf und Heiligenstadt erlebte ein kleines Industrieviertel zeitweilig seine Blüte. Der Süßwarenproduzent Egger war hier ebenso vertreten wie die damals bekannte Papierfabrik Samum.
Schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatten zuerst der städtische Adel, dann das Bürgertum die Wienerwaldgemeinden als bevorzugte Orte für Ausflüge und Sommervillen entdeckt. Wohnen im Grünen wurde modern, das führte zu Adelssitzen wie dem Maria-Theresien-Schlössl, zu Villen (Wertheim, Rothschild, Andrassy), zu Josef Hoffmanns Künstlerkolonie am Kaasgraben und schließlich zu einem Wohnbauprojekt der ganz besonderen Art, die in Wien nie wiederholt wurde: Die Cottage-Siedlung bei der Sternwarte. Es sollte ein Villenviertel für begüterte Wiener nach englischem Muster werden. 1872 gründete der Architekt Heinrich Ferstel dazu einen Verein, der übrigens heute noch besteht – samt Servitut: Die Bauwerber mussten (und müssen) sich verpflichten, nur Ein- und Zweifamilienhäuser zu errichten, freie Aussicht, Licht und Luft des Nachbarn zu garantieren, „Dünste oder üble Gerüche und Lärm“ zu vermeiden. Der architektonische Stil blieb jedem Bauherrn selbst überlassen, und so präsentieren sich heute in der „Cottage“ alle nur möglichen Fassaden, Türmchen und Erker in historisierendem Stil.
Die Armut nach Ende des Ersten Weltkrieges unterbrach die private Bautätigkeit fast total. Auch das Siedlungsprogramm der Gemeinde Wien vermochte nur einige Baulücken zu schließen, aber 1927 entschloss sich die sozialdemokratische Stadtverwaltung, dem bürgerlichen Bezirk den größten und mächtigsten Wohnblock Wiens zu verpassen: Der Karl-Marx-Hof an der Heiligenstädter Straße wurde zum Symbol des „Roten Wien“ – dement-sprechend heftig und blutig umkämpft war er im kurzen Bürgerkrieg 1934.
Danach versuchte man mit allen Mitteln, die grassierende Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Ab 1934 schufen tausende Arbeiter mit Schaufeln, Krampen und Scheibtruhen die sogenannte Höhenstraße. Bis 1940 ging der weitere Ausbau dieser grünen Verbindungsstraße in verschiedene Richtungen weiter, über den Kahlenberg hinunter in den weltberühmten Weinhauerort Grinzing. Spätmittelalterliche Winzerhäuser verleihen dem Ort bis heute seinen unverwechselbaren Charakter, sein Kern ist zu Recht denkmalgeschützt – trotz einiger trauriger Bausünden.
Noch heute existieren im Bezirk ganz selbstständige „Grätzel“, die sich über die Jahrhunderte kaum verändert haben. Das Kahlenbergerdorf gehört dazu, oder das Ensemble rund um den Heiligenstädter Pfarrplatz, der obere Teil von Sievering, aber auch – etwas jünger – der harmonisch angelegte Saar-Platz mit behäbigen Gründerzeithäusern der gehobenen Klasse. Gutbürgerlich präsentiert sich auch die Obkirchergasse, besonders der Sonnbergplatz, der mit prächtigen Gründerzeithäusern geschmückt ist.
Geheimtipp
Die „Villa Wertheimstein“: 1870 vom gleichnamigen Bankier erworben, vermachte seine Tochter Franziska 1907 das kleine Palais und den Park der Allgemeinheit. Heute beherbergt die Villa, deren Interieur im Originalzustand ist, das Döblinger Bezirksmuseum, in dem auch immer wieder Konzerte und Lesungen stattfinden.
19., Döbling
Fläche in ha1: 2494
Einwohner2: 68.892
Bevölkerungsdichte3: 2.762
Bevölkerungsentwicklung4: 0,62%
Gebäude5: 8.650
Zinshäuser6: 457
Zinshausdichte7: 5%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
