Das historische Wien - 20. Bezirk
Eine frühere Insel in der Donau
Brigittenau - ein fast seltsamer Name, doch geht er tatsächlich auf eine Heilige zurück: Der Hl. Brigitta, eigentlich Birgitta (richtig!) Birgersdotter, wurde einst dieser Bezirk geweiht. Nach der vergeblichen Belagerung Wiens im 30-jährigen Krieg – auch durch Schweden – wurde mit dieser Namensgebung der großen Mystikerin, Stifterin eines Klosters und späteren Heiligen gedankt.
Beitrag von Herbst 2013
Der 20. Wiener Gemeindebezirk ist ein „junger Bezirk“ und zum guten Teil künstlich entstanden. Das Gebiet ist quasi Neuland, das nach der Wiener Donauregulierung, also erst nach 1868, entstand. Sie war seit 1850 Teil der Leopoldstadt und wurde 1900 davon abgetrennt. Aufgrund ständiger Überschwemmungen durch die unregulierte Donau war der Bezirk für Siedlungen oder für die Landwirtschaft völlig uninteressant. Fischer, Jäger und Flößer fanden aber ihr Auskommen auf dem „Werd“, also der Insel, wie sie es nannten.
Erst um 1810 siedelten sich erste Handwerksbetriebe in der Brigittenau an, unter anderem eine Kunstblecherei, ein Dampfsägewerk und eine Feuerspritzenfabrik. 1828 wurde die Vergnügungsstätte „Colosseum“ erbaut. Nachdem die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn 1837 als erste Dampfeisenbahn des Kaisertums Österreich auf der Teil strecke von Floridsdorf bis Deutsch-Wagram eröffnet wurde, überquerte sie ein Jahr später die Donau beim Praterstern. 1840 fuhr die erste schienengebundene Pferdebahn entlang der heutigen Jägerstraße.
Im Jahr 1900 kam es auf Wunsch der Politiker zur Tren nung der Brigittenau vom 2. Bezirk Leopoldstadt, und wurde vom Gemeinderat zum 20. Wiener Gemeindebezirk erklärt. In der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts erbaute man nun auch in der Brigittenau große kommunale Wohnblöcke. Der Winarsky-Hof, der 1921 von den bekannten Architektur-Stars Adolf Loos und Margarethe Schütte Lihotzky geplant worden war, konnte 1924 den Bewohnern übergeben werden. In der Leystraße verwirklichte sich Karl Ehn, der uns schon in anderen Bezirken begegnet ist. Die alte Brigittabrücke über den Donaukanal wurde durch die von 1924 bis 1926 errichtete Friedensbrücke ersetzt. 1926 erfolgte die Einrichtung des Unfallkrankenhauses in der Webergasse durch den berühmten Chirurgen Lorenz Böhler. 1932 wurde schließlich die Wohnhausanlage am Friedrich-Engels-Platz fertiggestellt.
In demonstrativer Größe, über die man diskutieren kann, präsentiert sich am Engels-Platz auch der zweitgrößte Gemeindebau der Zwischenkriegszeit, auch wenn er von dem genialen Rudolf Perco geplant wurde. Die Dreißigerjahre bevorzugten derartige Wohntürme, aber die Tristesse konnte auch der begabteste Architekt nicht wegzaubern.
Wenig Sehenswürdiges also. Oder doch nicht? Am Brigittenauer Sporn prangt in vollem Glanz ein secessionistischer Verwaltungsbau, der zur Donaukanal-Anlage gehört und von Otto Wagner gebaut wurde. 1982 hat die Gemeinde das Architekturjuwel restauriert. Auf dem Forsthausplatz erinnert die Brigitta-Kapelle an alte Zeiten. Dieses älteste Gebäude im 20. Bezirk wurde 1645 von Filiberto Lucchese erbaut: Ein freistehender achteckiger Zentralbau, gestiftet von Ferdinand III., der erst kürzlich aufwendig renoviert wurde.
Weniger schön, aber historisch wichtig ist in der Meldemannstraße das ehemalige Männerheim, das 1905 nach den modernsten Erkenntnissen und Bedürfnissen erbaut wurde. Vom 9. November 1910 bis 24. Mai 1913 fand hier ein junger Mann Unterschlupf, der in Wien Maler werden wollte, aber später Politiker wurde. Ein Entschluss, mit dem A. H. Tod und Verderben über Europa bringen sollte.
Geheimtipp
Das Bezirksmuseum in der Dresdner Straße zeigt anhand von Plänen, Exponaten, Bildern, Ansichten und Modellen das Werden dieses Bezirkes. Die Geschichte der Donau ist dabei einer der Schwerpunkte. Aber auch Gewerbe-, Industrie- und Verkehrswesen werden hier vorgestellt, ebenso wie das Alltags- und Gesellschaftsleben der Brigittenau.
20., Brigittenau
Fläche in ha1: 571,05
Einwohner2: 83.977
Bevölkerungsdichte3: 14.706
Bevölkerungsentwicklung4: -0,22%
Gebäude5: 2.650
Zinshäuser6: 528
Zinshausdichte7: 20%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
Copyright Foto der Brigittakapelle: CC BY-SA 3.0
