Das historische Wien - 4. Bezirk
"Auf der Wieden"
Was heute der 4. Wiener Gemeindebezirk ist, war einst eine der ältesten Vorstädte Wiens. 1137 ist diese erstmals erwähnt, doch darf man annehmen, dass die Wiedner Hauptstraße noch viel älter ist. Der Bezirk ist relativ klein, aber reich an Adelspalästen und Diplomatischen Vertretungen.
Beitrag vom Herbst 2013
Östlich dieser Hauptstraße ließ sich Kaiser Ferdinand II. die „Neue Favorita“ als Sommerschloss errichten, heute beherbergt das imposante Gebäude das Theresianum und die Diplomatische Akademie. Im kaiserlichen Umfeld ließ sich der Adel nieder und so bekam der Bezirk sein nobles Ambiente. Bruno Kreisky behauptete von sich, „ich bin ein Wiedener“. Ein reiner Bluff war das, weil ihm Margareten zu wenig vornehm schien. Auf der Wieden zu wohnen, ist auch heute noch erstrebenswert.
In merkwürdigem Gegensatz zu den Palästen gab es in früheren Zeiten in der Nähe des Wienflusses, auf den „Freihausgründen“, seit 1769 das größte Zinshaus Wiens. In dieser Anlage lebten etwa tausend Bewohner – eine gigantische Zahl für die damalige Zeit. Das großzügige Areal war wegen der begrünten Innenhöfe bei den Mietern äußerst beliebt. Sogar ein eigenes Theater gab es: 1781 dirigierte hier Wolfgang Amadeus Mozart erstmals seine „Zauberflöte“. Im Garten stand ein Lusthaus, in dem sich der Komponist gerne aufhielt. Dieses „Zauberflötenhäuschen“ wurde später abgetragen, nach Salzburg transferiert, wo es heute im Garten des Mozarteums eine neue Heimstatt hat.
Die alten Freihaus-Gebäude wurden sukzessive abgerissen, sie waren nicht mehr zeitgemäß, ja mehr noch, sie waren abgewohnt. Aber Teile davon standen noch sehr lange. Erst 1970 verschwand der sogenannte Mühlhaustrakt. Die Technische Universität hat von dem Areal Besitz ergriffen. Apropos Mühlhaus: Nur noch diverse Straßenbezeichnungen weisen auf jenes Gewerbe hin, das hier vielen Menschen Arbeit gab: Die Heumühle, die Schleifmühle, die Bärenmühle.

Zurück zum „bürgerlichen“ Bezirk Wieden: Viele wunderschöne Zinshäuser und Palais aus der Gründerzeit bestimmen das Straßenbild, etwa in der unteren Argentinierstraße, in der Schwindgasse und rund um den Draschepark. Auch Johann Strauß Sohn hatte sich hier ein zweistöckiges Refugium errichten lassen. Wo heute die Arbeiterkammer in einem nüchternen Bürohaus ihre Zentrale hat, stand bis zum 2. Weltkrieg ein ganz besonders reich geschmücktes Palais: Der Hauptsitz des Wiener Zweigs der Bankiers-Familie Rothschild. Gleich nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich 1938 wurde Baron Louis Nathaniel Rothschild enteignet, die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ der Gestapo nahm davon Besitz. Der Bombenkrieg zerstörte diesen Spuk – aber auch dieses wertvolle Ensemble.
Die Jahrhunderte überdauert hat von den Palästen nur jener der Adelsfamilie Schönburg-Hartenstein in der Rainergasse. Und natürlich der bedeutendste barocke Kirchenbau Wiens, die Karlskirche. Sie ist dem Wiener Stadtpatron Karl Borromäus geweiht, Johann Bernhard Fischer von Erlach hat den Bau begonnen, sein Sohn Joseph Emanuel konnte ihn 1737 vollenden.
Das Neue der Nachkriegszeit korrespondiert nicht immer wirklich harmonisch mit dem Alten. Das wird nicht nur an dem kühlen Zweckbau des Wien Museums auf dem Karlsplatz ersichtlich, auch das schon erwähnte Schönburg-Palais verschwindet im Schatten des Bürohoch hauses der Bundeswirtschaftskammer. In den Fünfzigerjahren war es als „Semperit-Zentrum“ erbaut worden – an Stelle des zuvor abgerissenen Palais Erzherzog Rainer. Das blieb nicht die einzige Bausünde im Bezirk: Nach heftiger öffentlicher Debatte musste 1965 die alte barocke Matzleinsdorfer Pfarrkirche, bekannter als „Rauchfangkehrerkirche“, dem Verkehr in der Wiedner Hauptstraße weichen. Über den Ersatzbau neben der Straße kann man streiten...
Geheimtipp
Das Funkhaus des ORF in der Argentinierstraße. Clemens Holzmeister hat es 1937 für die „Radioverkehrsanstalt“ (RAVAG) geplant. Ein modernistisches Zweckgebäude, das noch heute allen Anforderungen voll entspricht. Wenngleich die Redaktion naturgemäß nicht gestört werden darf, so sollte man sich eine Veranstaltung im Radiokulturhaus nicht entgehen lassen. Der große Sendesaal ist architektonisch und akustisch ein Erlebnis.
4., Wieden
Fläche in ha1: 177,52
Einwohner2: 30.989
Bevölkerungsdichte3: 17.457
Bevölkerungsentwicklung4: -0,63%
Gebäude5: 1.583
Zinshäuser6: 495
Zinshausdichte7: 31%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
