Das historische Wien - 6. Bezirk
Maria hilf!
Kleiner geht es fast nicht mehr: Der 6. Bezirk ist trotzdem ein boomendes innerstädtisches Grätzel, beherrscht von einer Geschäftsstraße, die sprichwörtlich ist: „Ein Gedränge wie auf der Mariahilfer Straße“, da können sich auch Nicht-Wiener eine Vorstellung machen. Und unsere Nachbarn aus den früheren „Oststaaten“ sowieso. Schauen wir uns die Gegend näher an.
Beitrag von Herbst 2013
Die heutige Einkaufsstraße war schon zur Römerzeit eine stark frequentierte Route. Sie blieb es auch später, in der Monarchie genoss sie das besondere Privileg, dass der Kaiser sie fast täglich befuhr, wenn er zwischen Schönbrunn und der Hofburg pendelte. Das stellte die Straßenbahn vor ungeahnte technische Probleme: Franz Joseph wünschte keine störenden Oberleitungsdrähte. So musste dort eine unterirdische Stromschiene verlegt werden, was nicht ganz störungsfrei verlief. Erst 1915 kam hier eine Oberleitung. Dabei plagten Franz Joseph damals ganz andere Probleme.
Da hatte sich die Straße, von der hier die Rede ist, schon längst zur beliebten Einkaufsstraße gemausert. Große Warenhäuser, aber auch viele verbliebene Klein- und Mittelbetriebe prägten das Bild. Sehen wir uns die Bauwerke an: Eine Spezialität des Bezirks sind die „Durchhäuser“, also öffentliche Durchgänge, die mehrere Zinshäuser miteinander verbinden. So etwa die Schulhofpassage zwischen Hirschengasse und Mariahilfer Straße. Hinterhöfe alter Wiener Bürgerhäuser erblickt man da, wo sich Handwerker zum Teil bis heute gehalten haben.
Ähnlich der „Raimundhof“, der gleich durch fünf Häuser und vier Innenhöfe führt und die Stiegengasse mit der Mariahilfer Straße verbindet. Der Spaziergänger entdeckt hier kleine Schuhmacher, Friseure, Restaurants und Bars. Namensgeber war der Dichter Ferdinand Raimund, der hier im heute noch bestehenden Haus „Zum goldenen Hirschen“ (Mariahilfer Straße Nr. 45) geboren wurde.

Optisch eine Katastrophe, anderseits eine ständige Mahnung an das blutige 20. Jahrhundert, sind die Flieger-Abwehr-Türme im Esterhazypark und in der Stiftskaserne. Sie prägen das Stadtbild ebenso wie die großartige Vision des Bürgermeisters Helmut Zilk, der den barocken Hofstallungen, inzwischen vergammelt und abbruchreif, eine neue Funktion zuwies. Es wurde daraus das „Museumsquartier“, eine pulsierende Stätte der Begegnung. Offiziell ressortiert das MQ zwar schon zum 7. Gemeindebezirk, aber optisch ist die Klammer zum Flak-Turm in der Stiftskaserne als Skyline gegeben.
An der südlichen Bezirksgrenze veränderte die Regulierung des Wienflusses im 19. Jahrhundert die gewohnte Landschaft. Der Flusslauf wurde beim Naschmarkt eingewölbt, ein kühnes Projekt Otto Wagners schuf die Trasse der „Wiener Stadtbahn“, von der heute noch die Linie 4 der U-Bahn profitiert. Hier offenbart sich dem Betrachter – völlig unvermutet – ein Wunderwerk des Jugendstils. Die Linke Wienzeile prunkt mit drei Wohnhäusern, die mit ihrem reichen Fassadenschmuck Weltruhm erlangt haben. Otto Wagner hat sich hier verewigt. In einer eher schmucklosen Gegend, in der dies am wenigsten zu erwarten ist.
Geheimtipp
In der Lehargasse 6 verbirgt sich ein höchst bemerkenswertes Bauwerk: Das sogenannte Semper-Depot. Der Name ist ungerecht, weil sein kongenialer Architekten-Kompagnon Hasenauer ebenfalls daran beteiligt war. Der Rohziegelbau mit Eisenkonstruktion im Inneren wurde 1877 fertig gestellt und diente bis 1952 als Lagerstätte für die Kulissen der Bundestheater. Seit 1975 verwendet man ihn als Atelierhaus und für zahlreiche „Events“.
6., Mariahilf
Fläche in ha1: 145,25
Einwohner2: 30.117
Bevölkerungsdichte3: 20.735
Bevölkerungsentwicklung4: 1,17%
Gebäude5: 1.582
Zinshäuser6: 530
Zinshausdichte7: 34%
1 Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
2 Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
3 Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
4 Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
5 Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
6 Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
7 Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.
