Die Namen der einstigen Vorstädte haben sich auch heute noch im Sprachgebrauch ihrer Bewohner erhalten. Der „Althangrund“ etwa: Franz-Josefs-Bahnhof, die Institute der Geowissenschafts-, Mathematik-, Pharmazie- und Biologiefakultäten der Universität Wien, das Verkehrsamt. Nach der Absiedelung der Wirtschafts-Uni eröffnet sich hier ein bemerkenswertes Neubaugebiet. 

Auch die Roßau trägt noch ihren alten Namen. Hier ließen die Fürsten von Liechtenstein ihr Gartenpalais errichten, das erst vor wenigen Jahren in seiner ganzen barocken Pracht wiedererstand. Unschätzbare Kostbarkeiten, die das Fürstenhaus in vier Jahrhunderten gesammelt hat, verbergen sich hinter den Türen, die man seit heuer leider nur mehr bei „Events“ bewundern kann. Der alleinige Museumsbetrieb erwies sich als nicht rentabel.

Einem weniger kunstsinnigen Zweck diente und dient die markante Roßauer Kaserne, die heute zur Hälfte der Polizei, zur anderen Hälfte dem Verteidigungsressort gehört. Der Denkmalschutz verhinderte, dass man an die Stelle dieses klobigen Backsteinbaus eine zeitgemäßere Architektur setzen hätte können. 

Schräg gegenüber beginnt die Porzellangasse. Und hier ist die Wiege und der Sitz eines bedeutenden österreichischen Unternehmens: Das „Lohner-Haus“. Im 19. Jahrhundert gründete Jacob Lohner – zunächst in der Servitengasse – eine Wagenfabrik, die Weltruf erlangen sollte. 1860 konnte sich sein Sohn sogar „königlich schwedischer Hoflieferant“ nennen. Obwohl die Fabrik später nach Floridsdorf verlegt wurde, blieb der Firmensitz am Alsergrund.

Apropos Servitenviertel: Es gleicht einem Dorf mitten in der Stadt. Nur wenige Gehminuten von der City entfernt liegt es, begrenzt von zwei Hauptverkehrsadern – dem Ring und der Roßauer Lände – unweit vom Donaukanal. So nah es dem Zentrum ist, so wenig großstädtisches Flair hat dieser Teil vom Alsergrund. Das „Dorf in der Stadt“ lebt von seinen Bewohnern, den vielen Psychoanalytikern, die hier wie ihr Vorbild Sigmund Freud  (in der Berggasse) ihre Praxis eröffnet haben. Es lebt von den Theatern und von den vielen Lokalen und kleinen Geschäften.

Ganz anders wieder der geschäftige Bezirksteil mit dem Universitäts-Campus und dem Allgemeinen Krankenhaus, das von der Stadt Wien und der Medizinischen Universität betrieben wird. Hier befinden wir uns im sogenannten „Medizinerviertel“. 1784 ließ Josef II. das AKH eröffnen, zuvor schon das „Josephinum“ als „medizinisch-chirurgische Militärakademie“. Details wollen wir uns hier tunlichst ersparen...

Geheimtipp
In der Seegasse, hinter dem jüdischen Altersheim, liegt in einem verträumten Innenhof der älteste Judenfriedhof Europas. Seine Grabstellen reichen von 1450 bis ins Jahr 1783 zurück, als die Begräbnisstätte von Josef II. aus hygienischen Gründen geschlossen wurde. Im hohen Gras ragen 280 Grabsteine auf, die nach der Schändung durch die Nazis 1983 identifiziert werden konnten. 

9., Alsergrund
Fläche in ha¹: 296,74
Einwohner²: 39.968
Bevölkerungsdichte³: 13.469
Bevölkerungsentwicklung⁴: 0,18%
Gebäude⁵: 2.083
Zinshäuser⁶: 762
Zinshausdichte⁷: 37%

¹ Quelle: Stadt Wien (MA 41), Flächen der Gemeindebezirke 2012 (Stand 1.9.2012)
² Quelle: Statistik Austria, Wohnbevölkerung zu Quartalsbeginn 2013
³ Quelle: eigene Berechnung, EW/km²
⁴ Quelle: eigene Berechnung, Vergleich zum Jahr 2012
⁵ Quelle: Statistik Austria, Gebäude- und Wohnungszählung 2001
⁶ Quelle: Kulturgüterkataster der Stadt Wien (MA 19), eigene Erhebungen, Grundbuch (B-Blätter)
⁷ Quelle: eigene Berechnung, Gebäudebestand / Zinshäuser, gerundet

Der Autor
Prof. Hans Werner Scheidl: Jahrgang 1944, arbeitete von 1965 bis 2009 als Redakteur der Wiener Tageszeitung „Die Presse“. Heute ist der Zeithistoriker und Buchautor freier Journalist.